Den Sommer im eigenen Garten zu verbringen ist in Berlin ein echter Luxus. Dass ein Garten aber durchaus auch „verinnerlicht“ werden kann, eine hohe Symbolkraft besitzt und ein uraltes mythologisches Prinzip darstellt, zeigt die Ausstellung „Garten der irdischen Freuden“ im Martin Gropius Bau. Noch bis zum 1. Dezember 2019 interpretieren über 20 internationale Künstler*innen das Motiv des Gartens „als eine erweiterte Metapher für den Zustand der Welt, um die komplexen Zusammenhänge unserer chaotischen und zunehmend prekären Gegenwart zu erforschen„, so der Ansatz der Kuratorinnen Stephanie Rosenthal mit Clara Meister: “ Seit Jahrhunderten arbeiten Künstler*innen mit dem Motiv des Gartens als Ort der Inspiration und kritischen Reflexion. In der heutigen Zeit, die durch einen radikalen Klimawandel und Migrationsbewegungen bestimmt ist, wird der Garten als poetische Ausdrucksform und Kristallisationspunkt fundamentaler Aspekte menschlicher Existenz zu einem Instrument, um unsere Gegenwart in all ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit zu erkunden.“
Die Herangehensweise der Künstler ist unterschiedlich – mal sehr emotional – mal sehr verkopft-rational. Schön ist der haptische Zugang, auch einmal seine Schuhe auszuziehen und leise über einen Terrakottaboden mit den Abdrücken heruntergefallener Zitronen zu gehen oder mit „Museums-Pantoffeln“ andächtig in einen stringent durch-gepünkelten Raum mit überdimensionalen Tulpen zu schlurfen.
Die Künstlerin Yayoi Kusama reflektiert über ihre Installation „die Nähe von Utopie und Dystopie, Freude und Furcht“; die Besucher*innen können sich zwischen drei überlebensgroßen Tulpen in einem Raum bewegen, der vollständig mit den für die Arbeiten der Künstlerin charakteristischen Punkten bedeckt ist. Durch die Auflösung von räumlichen Dimensionen und vertrauten Perspektiven verwandelt sich das zunächst freundlich-verspielt wirkende Szenario in eine zunehmend bedrohliche Umgebung, die in ihrer Verzerrung Züge des Wahnhaften trägt.
Neben der klassischen Lesart des Gartens als einem abgeschlossenen und begrenzten Sehnsuchtsort voll meditativer, spiritueller und philosophischer Möglichkeiten, wird er in der Ausstellung als ein Ort der Dualität und des Widerspruchs sowie eine Metapher für einen Zustand des Ausgegrenztseins begriffen: als ein Grenzbereich zwischen Realität und Fantasie, Utopie und Dystopie, Harmonie und Chaos, Eros und Perversion, Natürlichkeit und Künstlichkeit, dem Ausgeschlossen- und dem Teilsein – ein Paradies, dem das bedrohliche Gefühl der Vertreibung innewohnt. Die zahlreichen Perspektiven der Ausstellung spiegeln sich auch in der Auswahl der präsentierten Medien wider, die Installation, Performance, Film und Sound, Gemälde, Fotografie, Zeichnung und Skulptur umfassen.
„Garten der irdischen Freuden“ reflektiert die Idee des Gartens auch politisch und aus unterschiedlichen kulturellen und philosophischen Blickwinkeln. Durch eine Vielzahl zeitgenössischer künstlerischer Positionen verhandelt die Ausstellung soziale, politische und ökologische Phänomene wie Migration, Kolonialisierung, Globalisierung, Kapitalismus sowie Gentrifizierung und zeigt Strategien, die den Garten subversiv instrumentalisieren und so zum politischen Nährboden formen.
Im Lichthof des Gropius Bau gruppiert Rashid Johnson Topfpflanzen in einem stählernen Gerüst und lässt diese in einen Dialog mit Objekten aus Shea-Butter, Aufnahmen von Johnsons früheren Performances sowie Publikationen zur Geschichte von Schwarzen Communitys in den USA treten. In diesem Kosmos aus Lebewesen, kulturellen Objekten, Klängen und Medien wird nicht nur der Gegensatz von Natur und Kultur untersucht, sondern auch die Frage nach Schwarzer Identität aufgeworfen.
Bosch must be
In der Zusammenführung vom Katastrophischen und Paradiesischen zeigt sich die Ausstellung von Hieronymus Boschs Triptychon Garten der Lüste aus dem 15. Jahrhundert inspiriert, auf das auch der Titel Bezug nimmt. Für sein Werk wählte Bosch einen konzeptionell polaren Ansatz, in dem Himmel und Hölle, Freude und Schmerz eng miteinander verbunden sind.
Die in der Nachfolge Boschs im Zeitraum von 1535 bis 1550 entstandene Version des Garten der Lüste bildet daher einen Ausgangspunkt der Ausstellung und führt die Besucher*innen in die inneren Widersprüche des Gartens in der christlichen Tradition ein. Ergänzt und kontrastiert wird diese Perspektive durch einen persischen Gartenteppich aus dem späten 18. Jahrhundert, der im selben Raum zu sehen ist. Dieser verdeutlicht das Konzept des Paradieses als umwalltem Raum (pairidaeza), dessen innere Logik und Harmonie durch den Schutz einer umgebenden Mauer gewährleistet werden. Auch die philosophische Rolle rückt ins Blickfeld, die der Garten in vielen asiatischen Kulturen spielt. So ruft Taro Shinoda das Bild traditioneller japanischer Gärten auf, die aus Arrangements von Steinen bestehen und nur von einem bestimmten Punkt aus betrachtet werden dürfen. In seiner speziell für die Ausstellung neu entstehenden Arbeit bildet er diese Steine anhand von Fotografien aus Marmor nach – einem Material, das stark mit westlicher Kultur verbunden ist. Die den Betrachter*innen im japanischen Garten abgewandte Seite der Steine gestaltet Shinoda dabei als glatte Rundungen ohne Strukturen. Obwohl sich die Besucher*innen im Gropius Bau frei zwischen den Repliken bewegen können, bleibt so jederzeit bewusst, dass Shinodas Rekonstruktion nur das Bild eines Gartens ist.
„Bei dieser Ausstellung bietet die Lage des Gropius Bau eine zusätzliche Ebene der Reflexion: Im Zuge der wechselhaften Geschichte Berlins befanden sich in der Umgebung des Hauses zeitweise Felder und Brachen. Der Tiergarten, der in unmittelbarer Nähe liegt und als öffentlicher Lustgarten im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört wurde, konnte in der Nachkriegszeit von den Berliner Bürger*innen zur Subsistenzlandwirtschaft genutzt werden. Ab 1949 wurde er wieder als Park bepflanzt“, schließt die Kuratorin Stephanie Rosenthal den Kreis zur Lokation und holt den Garten von draußen in die Ausstellungsräume. Die grossen Fenster des Martin Gropius Baus geben den Blick bereits frei für die Bäume, die draussen stehen und durch die matten Glasscheiben grün nach innen reflektieren.
Mit Arbeiten von Maria Thereza Alves, Korakrit Arunanondchai, Hicham Berrada, John Cage, Tacita Dean, Nathalie Djurberg & Hans Berg, Futurefarmers, Lungiswa Gqunta, Libby Harward, Rashid Johnson, Yayoi Kusama, Louise Lawler, Renato Leotta, Isabel Lewis, Jumana Manna, Uriel Orlow, Heather Phillipson, Pipilotti Rist, Maaike Schoorel, Taro Shinoda, Zheng Bo sowie einem Gemälde aus der Bosch-Nachfolge
Kuratiert von Stephanie Rosenthal mit Clara Meister
Der Gropius Bau wird gefördert durch Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Die Ausstellung wird gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds, mit freundlicher Unterstützung der Berliner Stadtwerke, Friede Springer Stiftung, Outset Germany_Switzerland und der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia.
Gropius Bau
Niederkirchnerstraße 7 in 10963 Berlin
Öffnungszeiten:
Montag & Mittwoch – Sonntag 10:00 – 19:00 Uhr
Dienstag Geschlossen
Alle Links:
gropiusbau.de
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instagram.com/gropiusbau
#gropiusbau
Fotos Credits/Header:
Yayoi Kusama, Courtesy: Ota Fine Arts, Tokyo / Singapore / Shanghai
Ausstellungsimpressionen: Anke Sademann
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