Können wir dem Chaos Poesie entgegensetzen? Vom 25. März bis 12. Juni 2022 präsentiert der Gropiusbau die Ausstellung „Beirut and the Golden Sixties: A Manifesto of Fragility“, die ein bewegtes Kapitel der Geschichte Beiruts wieder aufleben lässt: die Zeit zwischen der Libanonkrise im Jahr 1958 und dem Ausbruch des libanesischen Bürgerkriegs 1975.
Die Ausstellung umfasst eine facettenreiche Auswahl von Künstler:innen, deren Drang nach formaler Innovation oft ebenso stark war wie ihre politischen Überzeugungen. Sie zeichnet das komplexe Spannungsverhältnis zwischen Beiruts Kosmopolitismus und den anhaltenden transregionalen Konflikten nach.
„Beirut and the Golden Sixties“ zeichnet eine kurze, aber intensive Phase des künstlerischen und politischen Aufbruchs nach. Drei Jahrzehnte lang strömten kontinuierlich Intellektuelle und Künstler:innen nach Beirut, während Revolutionen, Putsche und Kriege den Nahen Osten und den arabischsprachigen Teil Nordafrikas erschütterten. In Folge des 1956 erlassenen libanesischen Bankgeheimnis-Gesetzes floss immer mehr ausländisches Kapital in die Stadt; kommerzielle Galerien, freie Kunsträume und Museen florierten. Beirut war geprägt durch eine außergewöhnliche Vielfalt an Menschen und ihren Ideen. Doch unter der Oberfläche dieses Goldenen Zeitalters schwelten die zunehmend unüberbrückbaren Gegensätze, die sich schließlich in einem 15 Jahre andauernden Bürgerkrieg entluden.
Die assoziierten Kuratoren Sam Bardaouil und Till Fellrath dazu: „In „Beirut and the Golden Sixties“ nähern wir uns der Epoche aus dem Blickwinkel der zahlreichen Krisen an, von denen Beirut aktuell erschüttert wird. Diese zeitgenössische Perspektive auf die Vergangenheit bietet einen neuen Zugang – und indem wir uns den kreativsten und kritischsten Köpfen einer ganzen Generation von Denker:innen und Künstler:innen zuwenden, ermöglicht er eine Auseinandersetzung mit der Gegenwart.“
Die Ausstellung umfasst fünf Themenbereiche: Im ersten Teil „Le Port de Beyrouth: The Place“ untersuchen Künstler*innen aus verschiedenen Communitys der Region die problematische Vorstellung von Zugehörigkeit zu einem bestimmten Ort. Der Bereich „Lovers: The Body“ beleuchtet die Rolle Beiruts während der sexuellen Revolution als Experimentierfeld und Austragungsort der Kämpfe gegen die Zwänge einer heteronormativen, bürgerlichen Gesellschaft.
„Takween (Composition): The Form“ befasst sich mit den lokalen Diskursen zu verschiedenen modernistischen Tendenzen in Beirut, wobei ein Fokus auf der Sonderstellung der Abstraktion in den 50er bis 70er Jahren liegt. Zudem wird die Verbindung zwischen den politischen Überzeugungen der Künstler:innen und ihrer Zugehörigkeit zu einem Stil oder einer Schule, von der orientalischen Abstraktion bis hin zum Informel, herausgearbeitet.
„Monster and Child: The Politics“ befasst sich mit den Beziehungen zwischen Kunst und Politik in den Jahren vor dem Bürgerkrieg. Während dieser Blütezeit suchten die Künstler:innen nach geeigneten Ausdrucksformen für ihre unterschiedlichen Anliegen – vom utopischen Projekt des Panarabismus und postkolonialen Kämpfen bis hin zu spaltenden politischen Positionen gegenüber dem Kalten Krieg, dem Vietnamkrieg und dem Nahost-Konflikt.
Zuletzt thematisiert „Blood of the Phoenix: The War“ die anhaltenden Auswirkungen des Krieges auf das kulturelle Schaffen in Beirut. Der Bürgerkrieg forderte einen hohen Tribut von der lokalen Kunstszene: Galerien und freie Kunsträume wurden geschlossen, Künstler:innen wanderten nach Europa, in die USA und an den Persischen Golf aus – ein erster Ausblick auf das Geschehen im heutigen krisengeschüttelten Libanon. Der Ausbruch des Krieges und die anschließenden Verwüstungen offenbarten die Unversöhnlichkeit der politischen Kräfte und entlarvten den Mythos vom „Goldenen Zeitalter“.
Mehr Info findet ihr unter Gropiusbau.
Header-Foto: Beirut and the Golden Sixties © Luca Girardini