Eröffnung am 28. April 2017 . 19 Uhr . Eintritt frei

„Die Straße ist schöner als erwartet, aber auch fremder. Sie liegt im alten Osten – doch der ist aus ihr gewichen.“ Joachim Gauck

Nur knapp einen Kilometer lang, 49 prächtige Häuser aus der Gründerzeit und ein Neubau nach der Wende, ein Spielplatz, altes Kopfsteinpflaster, stattliche Linden und breite Bürgersteige – die Hufelandstraße, geplant und gebaut von einem Bierbrauer, erstreckt sich von der Greifswalder Straße bis zum Volkspark Friedrichshain durch das nach jenem Brauer benannte Bötzowviertel. Sie war schon damals keine typische Straße im Prenzlauer Berg und das liegt nicht nur daran, dass der Fotograf Harf Zimmerman sie Mitte der 1980er-Jahre auf seine eigene Weise porträtiert hat. Ein Jahr lang zieht er von Haus zu Haus, von Bewohner zu Bewohner, von Laden zu Laden, um die Besonderheiten des Quartiers mit der Postleitzahl NO 55, später 1055, festzuhalten. Er entdeckt inmitten der Hauptstadt der DDR eine Enklave des Bürgerlichen: geräumige Altbauwohnungen, großzügig verzierte Hausflure, Flügeltüren und Parkett sowie viele kleine Geschäfte und Werkstätten. Zimmermanns zurückhaltende, aber keineswegs unbeteiligte Dokumentation von Architektur und Menschen ist ein einzigartiges Zeugnis des Sozialismus am Vorabend seines Zusammenbruchs.

Die Bilder von Harf Zimmermann rufen Erinnerungen an Kohlerauch und nacktes Mauerwerk wach. An den bröckelnden Fassaden sind noch Einschusslöcher aus dem Zweiten Weltkrieg sichtbar. Überall scheint das endlose, eintönige Grau hindurch, das die gesamte DDR längst von Nord nach Süd beherrscht. Die Bewohner hingegen sind hier weit bunter als der bauliche Zustand des Sozialismus: Handwerker, Künstler, Musiker, Parteifunktionäre, Schauspieler und Klavierbauer. Während die SED mit ihrem Wohnungsbauprogramm in Marzahn oder Hellersdorf die neuen Stadtteile aus dem Boden stampft, scheint sie mit Altbauten wie in der Hufelandstraße überfordert zu sein. Sie bleiben als kapitalistisches Erbe liegen. Familiengeführte Geschäfte, die anderswo längst enteignet wurden, florieren hier fast ohne Gängelei der Behörden oder staatlicher Handelsorganisationen. Hier scheinen sich alle mit diesem Straßenzug verbunden und verantwortlich zu fühlen – ständig bemüht, das Biotop so lange wie möglich zu erhalten.

Die Hufelandstraße, die hinter vorgehaltener Hand auch „Kurfürstendamm des Ostens“ genannt wurde, ist nicht nur ein Beispiel für unangepasste Biografien in der untergegangenen DDR, sondern aus heutiger Sicht auch eine Fallstudie für die rasante Gentrifizierung und den innerstädtischen Strukturwandel nach 1989. Nur wenige Bewohner aus der Zeit von Zimmermanns Aufnahmen leben noch dort. Wie kaum an einem anderen Ort in Ostdeutschland fand in diesem Kiez in den letzten 25 Jahren ein nahezu kompletter Austausch der Bevölkerung statt. Alle Gebäude sind durchsaniert, die Spuren der Geschichte ausradiert und die Mieten explodiert.

Zu seinem dokumentarischen Projekt, das 1987 gleichzeitig seine Diplomarbeit als Meisterschüler von Arno Fischer an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig war, wurde Harf Zimmermann von dem US-amerikanischen Fotografen Bruce Davidson inspiriert. In den 1970er-Jahren verbrachte dieser zwei Jahre in Spanish Harlem in New York und fotografierte das Leben in und um einen Wohnblock in der East 100th Street. Ähnlich wie Davidson hat Zimmermann keine Schnappschüsse gemacht, sondern das Geschehen für das Foto gewissermaßen angehalten und eingefroren. Er hat mit hölzernen Plattenkameras verschiedener Größe fotografiert, die teilweise so alt waren wie das Viertel um die Hufelandstraße selbst. Die meisten Bilder sind jedoch mit einer Linhof-Kamera aus den 1930er-Jahren entstanden, Format 9x12cm. Für das Arbeiten mit Großformatkameras benötigt man Geduld und einen langen Atem, beides ist in der gesamten fotografischen Arbeit Zimmermanns eindrucksvoll belegt. Die Außenaufnahmen in der Hufelandstraße sind überwiegend in schwarzweiß entstanden, um den Blick auf das Wesentliche zu lenken, während die Familien in ihrem privaten Umfeld der Wohnung in Farbe fotografiert sind, was den sehr persönlichen Einblick verstärkt.

Den Bildern von Harf Zimmermann wohnt etwas Statisches, Endgültiges inne, das den eigentlichen Inhalt noch stärker aus seinem zeitlichen Zusammenhang rückt. Jenseits verklärender Nostalgie und rückwärtsgewandter Sehnsucht ist diese Arbeit aus dem Berlin der 1980er-Jahre ein einzigartiges soziokulturelles Dokument einer sich rapide verändernden Stadt. Die Ausstellung mit rund 95 Bildern wird erstmals bei C/O Berlin gezeigt und ergänzt die historische Analyse der DDR um einen wichtigen Aspekt der Alltagsgeschichte. Sie wurde von Felix Hoffmann kuratiert. Zur Ausstellung erscheint eine Publikation im Steidl Verlag mit einem Essay von Joachim Gauck.

Harf Zimmermann, 1955 in Dresden geboren, studierte bis 1979 Journalistik an der Universität Leipzig (früher Karl-Marx-Universität) und war danach als Fotolaborant beim Neuen Deutschland tätig. Von 1982 bis 1987 studierte er Fotografie bei Professor Arno Fischer an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und arbeitet seitdem als freier Fotograf und Fotodesigner. 1990 gehörte Zimmermann zu den Gründungsmitgliedern der Fotoagentur OSTKREUZ, der er zehn Jahre angehörte. Seine Fotografien hat er in zahlreichen nationalen und internationalen Zeitungen und Zeitschriften publiziert – unter anderem in Stern, GEO, Merian, DIE ZEIT, The New York Times Magazine, The New Yorker, TIME. Harf Zimmermann lebt und arbeitet in Berlin.

C/O Berlin Foundation . Amerika Haus . Hardenbergstraße 22–24 . 10623 Berlin
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